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DEUTSCHSPRACHIGER
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NĚMECKY MLUVENÝCH
FILMŮ
FESTIVALECHO ONLINE
15.–24.11.
Land | DE |
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Genre | Dokumentarfilm |
Sprache | Deutsch |
Untertitel | cs |
Regie | Andres Veiel |
Länge | 107 min. |
Web | zeroone.de/beuys |
Jahr | 2017 |
Kaum ein deutscher Kulturschaffender des 20. Jahrhunderts war ähnlich umstritten wie der Aktionskünstler, Bildhauer, Zeichner, Kunsttheoretiker und zeitweilige Professor Joseph Beuys (1921 – 1986). Sein Werk befasste sich mit einem neuen, erweiterten Kunstbegriff, der auch das politische Mitgestalten der Gesellschaft einschloss. Andres Veiel begibt sich mit seinem Dokumentarfilm auf eine umfangreiche Spurensuche; er fördert eine Fülle zum Teil unbekannten Archivmaterials zu Tage und lässt Zeitzeugen wie Klaus Staeck zu Wort kommen. In der Summe entsteht eine Collage aus Bild- und Tondokumenten, die allen Betrachtern einen Zugang zum komplexen Werk von Beuys ermöglicht.
Amüsiert blickt Beuys in Richtung Kamera: „Ist fast wie in Hollywood”, erklärt er, und fügt wenig später hinzu: „Gute Leute kommen in einen Saal und können abschätzen: was sind die Fragen der Leute, die inneren Fragen?” Er verstand es, mit seinem Publikum zu spielen, auch mit Provokationen, und er hatte seine Freude daran. Sogar in die Politik wollte er gehen, „um das Lachen in den Bundestag zu bringen“ - aber nicht als Politclown, sondern im Sinne eines Zitats von Picasso: „Die Kunst ist nicht dazu da, unsere Wohnungen zu dekorieren, sondern ist eine Waffe gegen den Feind!“ Er war anwesend bei der Gründungsversammlung der „Grünen“, und an der Kunstakademie Düsseldorf hielt er vor den versammelten Honoratioren eine Rede, die keine war, sondern nur aus abstrakten Tönen und Lauten bestand und noch die kühnsten Sprachabenteuer des Lyrikers Ernst Jandl übertraf.
Die große Leistung des Filmemachers Andres Veiel besteht, neben der Recherche, in der Dramaturgie. Veiel und seine Mitarbeitern am Schneidetisch haben, auch an Hand von fotografischen Kontaktbögen, eine Struktur entwickelt, die sich loslöst von jeder Chronologie, die nicht einfach den Linien einer Biografie folgt, sondern Werk und Leben ineinander fügt wie in einem Mosaik, bei dem kein Stein wichtiger ist als der andere. Vergleichsweise spät geht der Film auf Beuys' Elternhaus ein und auf seine Kriegserfahrungen; er wurde als Jagdflieger abgeschossen und überlebte nur knapp – nicht das einzige Trauma, an dem der Künstler litt. Und immer wieder erzählt der Film von dem für Beuys untrennbaren Zusammenhang zwischen Kunst und Politik: Er war nicht davon überzeugt, „dass wir in einer Demokratie leben“. Er fragte in einer Diskussion: „Wieso unterhalten wir uns über meine Werke? Wir unterhalten uns doch über eine Theorie!“ Und zu dieser Theorie gehörte das Bekenntnis: „Ich will das Bewusstsein der Menschen erweitern, auf die reale politische Situation bezogen!“ Er sei gar kein Künstler, behauptete er, „es sei denn, dass wir uns alle als Künstler verstehen!“ Auch seine Widersprüche zeichneten ihn aus.
Im Laufe des Films rückt so das Werk von Beuys immer näher. „Seine Arbeiten mit Fett, Kupfer und Filz waren für ihn künstlerische Versuchsanordnungen. Fett war Sinnbild einer erstarrten Form. Wurde es erwärmt, wurde es beweglich, es veränderte seine Gestalt. Kupfer verstand er als leitendes, Filz als isolierendes Element. Über die mit diesen Materialien geschaffenen Skulpturen und Rauminstallationen suchte Beuys nach einem neuen Begriff der Plastik, der das Bewegungsmoment einschloss. Und zugleich erweiterte er diesen Begriff, indem er ihn auf den Menschen übertrug: Das Denken bezeichnete er als einen elementaren Gestaltungsprozess. Und damit war das Denken an sich für Beuys bereits eine Plastik. Wenn Gedanken in Bewegung geraten und Welt gestalten, dann war für Beuys der Mensch in der Lage, gesellschaftliche Prozesse eingreifend zu verändern. Seine Kunst verstand er dabei nur als anregendes Aggregat für eine gemeinsame Arbeit. Für diese Arbeit verwendete er den Begriff der sozialen Plastik.“ (Andres Veiel).
Der Film enthält auch viele historische Aufnahmen von Aktionen und Performance-Arbeiten, zum Beispiel im Spiel mit einem Coyoten; er zeigt Beuys bei seiner großen Ausstellung im New Yorker Guggenheim-Museum, in Tokyo, wo er erklärt: „Meine Rolle ist es, Beispiel zu geben“ und bei seiner dreijährigen Aktion anlässlich der „Documenta“ in Kassel, wo er tausende von Eichen pflanzt. Am Ende wird klar, dass es keine ideologische Pose ist, sondern seiner tiefen Überzeugung entspricht, wenn Beuys erklärt: „Die Kunst ist die einzige revolutionäre Kraft!“